Von Dr. Lena Schmidt, Ornithologin und Wildtierbiologin

Jedes Jahr beobachten wir ein faszinierendes Naturschauspiel: Ganze Schwärme von Gänsen verlassen ihre Brutgebiete und begeben sich auf eine lange Reise in wärmere Gefilde. Dieses Phänomen, bekannt als Vogelzug, ist ein beeindruckendes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit und das Überlebensverhalten von Wildvögeln. Aber was genau treibt Gänse dazu, im Winter wegzuziehen?

Nahrungsmangel als Hauptgrund

Der primäre Grund für die Wintermigration von Gänsen ist der Nahrungsmangel. In ihren Brutgebieten in den nördlichen Regionen frieren im Winter die Gewässer zu, und die Vegetation ist unter Schnee und Eis verborgen. Da Gänse hauptsächlich von Gräsern, Samen und anderen Pflanzenteilen leben, müssen sie in Gebiete ziehen, wo diese Nahrungsquellen auch im Winter zugänglich sind.

Klimatische Bedingungen

Neben dem Nahrungsmangel spielen auch die klimatischen Bedingungen eine Rolle. Extreme Kälte und harte Wetterbedingungen in den nördlichen Breiten können für Gänse, insbesondere für Küken und schwächere Tiere, lebensbedrohlich sein. Die Migration in mildere Regionen hilft ihnen, solche Risiken zu vermeiden.

Instinktives Verhalten und genetische Prägung

Vogelzug ist ein instinktives Verhalten, das tief in der genetischen Prägung der Gänse verankert ist. Über Generationen hinweg haben sie gelernt, die Veränderungen der Jahreszeiten zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Junge Gänse lernen die Migrationsrouten und -zeiten von ihren Eltern.

Die V-Formation: Ein Beispiel für Energieeffizienz

Ein interessantes Merkmal der Gänsemigration ist die charakteristische V-Formation, in der sie fliegen. Diese Formation ist ein Beispiel für Energieeffizienz. Der Vogel an der Spitze schneidet durch den Luftwiderstand, wodurch die dahinter fliegenden Vögel weniger Energie aufwenden müssen. Die Vögel wechseln sich in dieser Position ab, um Ermüdung zu vermeiden.

Sicherheit in Zahlen

Die Migration in großen Gruppen bietet auch Sicherheit. Durch die Anzahl der Individuen verringert sich das Risiko, von Raubtieren erbeutet zu werden. Zudem können erfahrene ältere Vögel jüngeren helfen, sichere Routen und Rastplätze zu finden.

Fazit

Die Wintermigration der Gänse ist ein komplexes Verhalten, das durch eine Kombination aus Umweltfaktoren, instinktivem Verhalten und erlernten Routen bestimmt wird. Diese jährliche Reise ist entscheidend für ihr Überleben und Fortpflanzungserfolg und bleibt ein beeindruckendes Naturschauspiel.